Book:Atomenergie – „ein friedlicher Mörder“/ Ein "friedlicher“ Mörder

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G.F. Lepin, I.N. Smoljar (2012): Atomenergie – „ein friedlicher Mörder“

Teil I. AKWs – Atombomben, die Strom erzeugen

Vorwort | Kluge Gedanken kluger Menschen | Einleitung

1. Atomenergie– du, unsere Teuerste!

2. Wo ist sie – die Sicherheit der Kernenergieanlagen? | 2.1. Vielleicht in Japan? | 2.2. Wir schreiten allen anderen voran | 2.3. Experimente | 2.4. Wozu braucht der Iran AKWs?

3. Ist eine Koexistenz der Atomenergie mit der Natur und der Menschheit möglich? | 3.1. Ehrliche Lüge | 3.3. Können wir noch warten?

5. Wo sind sie – Atomneubauten des neuen Jahrhunderts?

6. Können wir ohne Atomenergie überleben? | 6.1. Windenergie | 6.2. Solarenergie | 6.3. Und wenn beides zusammen? | 6.4. Wie sieht es damit in Russland und Weißrussland aus?

7. Braucht die Bevölkerung neue AKWs? Und die alten? | 7.1. Fazit

Teil II. Wollen wir gemeinsam überlegen?

Das „Experiment“ verläuft erfolgreich (Pamphlet) | Wozu braucht die Katze einen Schwanz? | Fische suchen sauberes Wasser | Das „Experiment“ verläuft erfolgreich (Pamphlet) || Haupttrumpf | Wieviel Jahre kann ein Reaktor halten? | Tschernobyl-Effekt | Womit droht uns die Zukunft? | Der Wind „bläst die Strahlung weg“ oder Windanlage gegen Atomkraftwerk | Kategorisch untersagt! …Aber der Wunsch ist stärker… | Wer handelt mit dem Atomtod? | Nützlich und unschädlich oder schädlich und nicht nützlich? | Ein Fass ohne Boden | Der verlorene Motor | Ein "friedlicher“ Mörder | Countdown läuft | Nachwort – Warnung!


Ein „friedlicher Mörder“

Vor dem 26. April 1986

Stadt Pripjat ist eine Dienstleistungsstadt, speziell zur Bedienung des AKW Tschernobyl gebaut. 50 TausendEinwohner. Alles in der Stadt ist neu. Architekten und Bauarbeiter haben alles getan, damit sich die Menschen in der Stadt wohl fühlen. Die Stadt diente den Menschen, und die Menschen liebten sie und dankten ihr. Es war ein Wunder, dass die Wohnungen in Pripjat sogar mit Wohnungen in der Hauptstadt der Ukraine Kiew konkurrierten. Die Pripjater hatten allen Grund, auf ihre Stadt stolz zu sein. In den umliegenden Wäldern gab es alles, was der Wald dem Menschen geben kann. Auchdie Angler kamen auf ihre Kosten: Der Fluss Pripjatund der Kühlteich des Atomkraftwerks waren fischreich.In den Geschäften konnte man alles kaufen, was man brauchte. Um Lebensmittel zu kaufen kamen viele Leute nicht nur aus der Ukraine in die Stadt, sondern auch aus dem benachbarten Weißrussland. Die Stadt sollte weiter wachsen, weil das Atomkraftwerk wuchs: neben den vier bestehenden Blöcken wurden zwei weitere gebaut. Aber eines Tages, genauer eines nachts, änderte sich alles.

Nach dem 26. April 1986

Am ersten Tag klammerte sich die Stadt noch krampfhaft andas Leben. Die Menschen wollten nicht glauben, dass ihre Welt zusammengebrochen ist. Darin wurden sie durch die Lüge unterstützt, die die Stadt einhüllte. Aber schon am nächsten Tag war die Stadt ausgestorben. Aber auch als die Menschen die Stadt verließen, dachten sie, es sei nur ein Abschied für kurze Zeit, schon ein paar Tage später werden siezurückkehren. O weh, diese zwei Tage waren für die Stadt Pripjatnur ein Übergang vom Leben in den Tod.

Eine Stille! Eine Friedhofsstille. Die Stadt hat sich nicht geändert. Alles ist wie früher. Dieselben Häuser, dieselben Straßen, Schulen, Kindergärten, Geschäfte. Und über all dem auf dem Dach eines mehrstöckigen Gebäudes eine riesige Aufschrift, ein Slogan: „Friedliches Atom in jedes Haus!“Das ist es, was die Stadt getötet hat – das „friedliche Atom“ kam in der Tat, ja brach in jedes Haus ein, in jede Wohnung dieser noch vor kurzer Zeit paradiesischen Stadt. Und jetzt breitet sich an Stelle der Stadt Pripjatdas „Atomparadies“ aus. Ein schauderliches Bild – eine ganze Stadt ohne jegliche Zerstörungen…,eine Totenstille. Es scheint, da muss hinter einer Ecke ein Mensch kommen, aus der offenen Haustür ein Kind in die Freiheit rennen. Aber gar nichts, außer in Eile zurückgelassenen Hunden und Katzen.

Viele haben durch den Krieg zerstörte Städte gesehen. Dort aber regte sich noch in den Trümmern das Leben. Die Menschen suchten nach etwas aus ihrer Vergangenheit in der Hoffnung, es an die Zukunft anzupassen. Die vom Unheil betroffenen Menschen glaubten noch an etwas. Und in der StadtPripjatist kein Mensch, ist keine Hoffnung. Die Stadt ist tot, das Leben kehrt nie mehr zurück.

In Weißrussland gibt es einen Friedhof der Dörfer. DortistdieErdeausdenDörfernbestattet, diemit allen Bewohnern während des zweiten Weltkrieges von den Nazis niedergebrannt worden sind. DieseGedenkstätteisteineMahnung an Verbrechen der Faschisten. Abernach der Tschernobyl-KatastropheerschieneninWeißrusslandneueFriedhöfederDörfer. Das „friedlicheAtom“ hatsiegetötet.VonjedemHaus, daszerstörtundeingegrabenwurde, bleibt hier nur ein kleiner Grabhügel. Menschen, deren ganzes Leben mit diesen Häusern verbunden war, kommen, um teure Gräber zu besuchen.

DerMörderwarda– die Stadt Pripjat und diese Dörfer sind Opfer der Atomenergie, eswardas „friedlicheAtom“.Ein Widerspruch – ein Mörder und „friedlich“. Wenn man von der Atombombe sagt, dass sie Menschen und Städte tötet, ist alles klar. Aber das „friedliche Atom“? Es tötete diese Stadt und diese friedlichen Dörfer, es überließ den Menschen vorläufig die Möglichkeit, gegen die von ihm initiierten Krankheiten zu kämpfen und in einem bei weitem nicht hohen Alter zu sterben. Die Atomwaffe tötet momentan, und der „friedliche“Mörderzieht „das Vergnügen“ über viele Jahre hinaus. Darin lediglich besteht der Unterschied zwischen ihnen: Beide töten, nur dass der letztere dem Opfer noch die Möglichkeit lässt,sich zu quälen. Demnach ist die Atomenergie ein ganz raffinierter Mörder. Die beiden sollen vors Gericht. Für keinen von den beiden gibt es mildernde Umstände.

Man sagt noch, das „friedliche Atom“werde zum Mörder, nur wenn es durch etwas aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Freilich ist dieses „etwas“ allzu mannigfaltig. So waren die Hauptideologen des einen oder des anderen Reaktortyps viel zu selbstsicher. Auch vom Reaktor RBMK-1000 wurde gesagt, man könne ihn an einer beliebigen Stelle, selbst auf dem Roten Platz, vor dem Kreml installieren, es werde keine Probleme geben. Und man hat ihn dennoch zur Explosion gebracht. Nur gut, das es weit von Moskau geschah. Die Konstrukteure haben geschworen, dass es nichts Zuverlässigeres geben kann. Nun hat sich aber herausgestellt, dass Regelungsstäbe sehr schlecht durchdacht wurden und das Schutzsystem sehr leicht umgangen werden konnte. Da haben wir die Zuverlässigkeit. Die Bauer konnten dazu auch ihren Beitrag leisten: VorfristigeInbetriebnahmen erhöhen nicht die Zuverlässigkeit der ausgeführten Leistungen. Dazu kommt, dass der Reaktor von Menschen bedient wird. Wer konnte vorhersehen, was ihnen einfällt und was für ein Experiment am Reaktor sie erdenken werden? Vom Personal ist gar nicht zu sprechen. Einerseits hatjeder Mitarbeiter bestimmte Vorschriften und Anleitungen zu erfüllen. Aber ein jeder hat Vorgesetzte, leider nicht unbedingt die klügsten und wissenden. Wenn der Vorgesetzte etwas anordnet, werden alle Vorschriften ignoriert. So kommt es zu einem „Tschernobyl“. Aber es ist kein Problem, auch von außen in den Reaktorbetrieb einzugreifen. Für Terroristen, zum Beispiel, ist ein Atomreaktor ein begehrtes Ziel: Ist furchtbarer als eine Atombombe.Jegliches Geschwafel von Schutzhüllen ist nichts als leere Worte: Der heutige Terrorist wird sich an den Reaktor nicht mit bloßen Händen durchkämpfen. Unsere weißrussischen Atomlobbysten wurden gefragt: “Was garantiert die Kuppel über dem zu bauenden Reaktor?“Die Antwort lautete: Diese Kuppel könne selbst einen Absturz eines 9 Tonnen schweren Flugzeuges aushalten, das mit einer Geschwindigkeit von 300 km/h fliegt. Ist ein Wunder! Wo haben sie solch ein Flugzeug gefunden? Vielleicht eine Antonow-2, im Volksmund „Maismaschine“ genannt? Aber für Terroristen ist es leichter, einen Jet zu kapern, als nach einer Antonow-2 zu suchen, die seit Jahrzehnten nicht mehr gebaut wird und schon fast vergessen ist. Das Gewicht einer Passagiermaschine, so einer wie die, die beispielsweise die von Selbstmord-Terroristen in Gewalt gebracht wurden und zwei Hochhäuser in New York zerstörten, liegt bei über 200 Tonnen. Und ihre Geschwindigkeit ist nahe 1000 km/h. Hoffentlich haben unsere Atomlobbysten den Schulkurs Physik noch nicht ganz vergessen. Ein jeder Oberschüler weiß, dass mit der Erhöhung der Geschwindigkeit eines Flugzeuges seine Energie in quadratischer Abhängigkeit steigt. Das ist kein Witz! Das bedeutet, dass die Festigkeit der hochgepriesenen Kuppel fast um das 3000-fache niedriger ist, womit die heutigen Terroristen aufwarten können. Dazu noch haben sie heute kaum Probleme mit Raketen, die mit passenden Sprengmitteln ausgerüstet sind.

Es sind auch Naturkatastrophen –Erdbeben, Hurrikane, Tsunami – nicht zu vergessen.Es liegt schon eine ansehnliche Liste der Ursachen vor, durch die ein Reaktor außer Rand und Band geraten und zum „friedlichen Mörder“ werden kann. Was dann kommt, weiß man zur Genüge.

Und noch ein wichtiges Moment. Man sollte nicht denken, dass nur der „außer Rand und Band geratene“ Reaktor zum Mörder wird. Es hat sich herausgestellt, dass er auch in einem normalenBetrieb gar nicht ungefährlich ist. Für jeden Reaktor sind offiziell Mengen der sogenannten „lizensierten“ (das heißt, genehmigten) Emissionen festgesetzt. Diese Emissionen belasten ständig die Umwelt um den Reaktor, die Luft und das Grundwasser. Das ist nichtirgendein Treibhausgas, sondern etwas viel Schlimmeres. Unter den emittierten Radionukliden gibt es äußerst gefährliche. Auf eines davon wurde seinerzeit Akademiker Valerij Legassow aufmerksam. Das ist Krypton-85. Wenn es in die Atmosphäre gelangt,verringert sich deren elektrischer Widerstand. Es bilden sich elektrische Ströme, die beim normalen Zustand der Erdatmosphäre nicht vorkamen. Dadurch wird das Gleichgewicht derLuftströme gestört, und als Reaktion nehmen Naturkatastrophen (Orkane, Regenschauer, Überschwemmungen, starke Temperaturschwankungen) stark zu, und es kommen Naturerscheinungen vor, die bisher nicht bekannt waren, wie beispielsweiseTrockengewitter. Früher konnten nicht einmal Hurrikane eine Stadt zerstören. In den letzten Jahren jedoch wurden in Amerika New Orleans und Greensburg völlig zerstört. Bei der Analyse des Schadens, der der Natur in den 30 Jahren des Bestehens der Atomenergie zugefügt worden war, wurde nachgewiesen, dasser um mehr als das 70-fache gewachsen ist. Die Schätzung der Kryptonkonzentration in der Atmosphäre in der gleichen Zeit ergab praktisch dieselbe Zahl. Da lässt sich die Version des Akademikers Legassow schwerlich abtun.

Daher kann man eine eindeutige Schlussfolgerung ziehen: Das sogenannte „friedliche Atom“bringt allem, was auf der Erde lebt, einen nicht wiedergutzumachenden Schaden nicht nur bei einem Störfall, sonder auch beim Normalbetrieb. Drei Städte und sehr viele Ortschaftenzählen schon zu seinen Opfern. Menschenopfer und Umweltschäden sind derart riesig, dass sie sich kaum ermitteln lassen.

Wenn wir von den Atomreaktoren sprechen, so ist noch ein wichtiges Moment nicht zu vergessen. Jedes Atomkraftwerk erzeugt in erster Linie nicht Strom, sondern Dutzende und Hunderttausende Tonnen äußerst gefährliche radioaktive Abfälle, die unseren Planeten verpesten. Der Umweltschaden ist heute schon sehr groß. Dazu kommt, dass der im Reaktor abgearbeitete Brennstoff als Rohstoff bei der Herstellung von Atomwaffen dient.

Wir begannen dieses Gespräch mit einem Auszug aus dem offiziellen Dokument der Internationalen Kommission für Strahlenschutz. In diesem Dokument wird vorgeschlagen, bei der Entscheidung der Frage über die Nutzung der Atomenergie den Nutzen und den Schaden abzuwägen. Es seien hier die Hauptarten der Nutzung der Atomenergie zu sogenannten „friedlichen“ Zielen behandelt. In der nachstehenden Tabelle sind Urteile über diese Kennwerte für Atomkraftwerke (AKW), Atom-Wärmekraftwerke (AWKW), schwimmende Atomkraftwerke SAKW) und für Ozeanschiffssystemeangeführt. Jede angeführte Einschätzung ist solide begründet.

Objekt Vorteil Schaden (Gefahr) Zweckmäßigkeit der Nutzung AKW niedrig hoch nicht zweckmäßig AWKW niedrig hoch nicht zweckmäßig SAKW niedrig äußerst gefährlich nicht zweckmäßig und äußerst gefährlich Ozeanschiffe befriedigend akzeptabel möglich Ozeaneisbrecher hoch akzeptabel zweckmäßig

Es bleibt nur noch, Fazit zu ziehen. Die Unzweckmäßigkeit der Nutzung von Atomreaktoren zur Produktion der elektrischen oder Wärmeenergie ist augenscheinlich.Um so mehr, da der Anteil der Atomenergie an der Bruttoproduktion aller Arten Energie heute lediglich etwa zwei Prozent ausmacht. Ob es sich lohnt, wegen dieser Kleinigkeit unsere Leben und die Umwelt einem so großen Risiko auszusetzen? Diese winzigen Energiemengen können durch Erzeugung der Energie mittels völlig sicheren praktisch unversiegbarenund erneuerbaren und billigeren Quellen (Windanlagen, Sonnenkollektoren und Photovoltaik, Biogas, Gezeiten, Thermalquellen,Meeres- und Ozeanströme und vieles andere) reichlich gedeckt werden. Somit ist die Unzweckmäßigkeit und die Gefahr der Atomenergie augenscheinlich. Man darf nicht warten, bis sie noch größeren Schaden anrichtet. In ganz besonderen Fällen, zum Beispielan einer begrenzten Zahl von Eisbrechern und Ozeantransportschiffen, die weit von besiedelten Territorien arbeiten undBrennstoff weit von den Häfen nachfüllen, könnten Kernenergiesysteme genutzt werden. Jedoch nur so lange, bis neueste Energieanlagen entwickelt sein werden, in denen als Brennstoff Wasser genutzt wird oder gar mit kraftstofffreien Motoren betrieben werden.

Fazit: Die sogenannte „friedliche Nutzung der Atomenergie für Produktion von Elektroenergie muss genau so wie deren Nutzung für Kriegszwecke verboten werden. Das eine wie das andere ist tödlich für alles, was auf der Erde lebt. Dem Überlebensexperiment ist unverzüglich ein Ende zu setzen, wenn die Menschheit nicht untergehen will.